Crashkurs Textur

Inhalt:

Historisches zum Texturbegriff

Textur und Anisotropie kristalliner Stoffe

Koordinatensysteme

Kristall- und Probensymmetrie

Orientierungsdarstellung durch Eulerwinkel - der G-Raum

Die Orientierungsdichtefunktion (ODF)

Polfiguren, Projektionsfaden

Texturapproximation durch Modellkomponenten

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Historisches zum Texturbegriff

Der Texturbegriff hat seinen Ursprung im lateinischen "textura" und heißt wörtlich übersetzt Gewebe. Mit einer der heutigen sehr nahe kommenden Bedeutung, aber ohne Abgrenzung zum Strukturbegriff, wurde dieser in den Geowissenschaften Anfang des neunzehnten Jahrhunderts zur Beschreibung "der räumlichen Anordnung von Teilchen" eingeführt. Die Abgrenzung erfolgte erst 1939 durch Wassermann: "Die Gesamtheit der Orientierungen der Kristalle eines vielkristallinen Stückes bezeichnet man als Textur". Tatsächlich sind Bergleuten und Mineralogen mit bloßem Auge erkennbare Texturen wegen ihrer Auswirkungen sowohl auf die Eigenschaften als auch auf den Abbau der Gesteine schon frühzeitig aufgefallen. Zum Beispiel besteht Schiefer aus parallel angeordneten, blättrigen Mineralen, so daß sich dünnste Platten aus dem Gestein lösen lassen. Der Texturbestimmung mit dem bloßem Auge folgte irgendwann die mit dem Mikroskop, wobei viele Kristallite eines Dünnschliffes bezüglich ihrer Orientierung und Größe im Gestein einzeln ausgemessen wurden. So ermittelte Richtungsverteilungen (Polfiguren) kristallographischer c-Achsen bildeten den Ausgangspunkt zur Klassifizierung der in natürlich deformierten Quarziten auftretenden Texturtypen.

Die eigentliche Texturforschung begann 1912 nach der Laueschen Entdeckung der Röntgenstrahlinterferenzen in Kristallen. Die sich an einem Einkristall ergebenden Beugungsbilder sind durch helle scharfe Punkte charakterisiert. Verwaschene Maxima in den Beugungsbildern von Metallfolien konnten als Vorzugsorientierungen der Metallkristallite gedeutet werden. Wever und Schmid schlugen 1927 ein Verfahren zur röntgenographischen Bestimmung von Polfiguren vor. Röntgenstrahlen lassen sich wegen ihrer geringen Eindringtiefe (ca. 0.1 mm) für Texturuntersuchungen besonders feinkörniger Substanzen verwenden, so daß bis in die siebziger Jahre vorrangig Metalle untersucht wurden. Texturbestimmungen für Metalle haben außerdem den Vorteil, für große Probenbereiche repräsentativ zu sein, da die Textur aufgrund der Kontinuität des Fertigungsprozesses innerhalb der Probe relativ kleinen Schwankungen unterliegt. Mit dem Ziel, Texturaussagen auch über extrem kleine Volumenbereiche (dünne Schichten) zu treffen, wurden neben der Röntgenstrahlung bald auch Elektronen zur Polfigurbestimmung herangezogen.

Für den optimalen Einsatz der metallischen Werkstoffe war zunächst das Verständnis der Richtungsabhängigkeit ihrer mechanischen Eigenschaften von vorrangigem Interesse, wobei neben den anisotropen Kristalleigenschaften der Verformungsprozeß als Ursache der Anisotropie des Vielkristalls erkannt wurde: "Solche Unterschiede bilden sich vor allem dann aus, wenn, wie beim Walzen von Blechen, der Werkstoff bei der Verarbeitung vorwiegend in einer Richtung gestreckt wird" [Wassermann 1939].

Beim Drahtziehen z.B. richten sich die Kupferkristalle mit ihrer (111) Richtung parallel zur Drahtziehrichtung aus.

Durch Taylor wurden 1938 mit dem nach ihm benannten Modell die Grundlagen zur Simulation der Texturentstehung bei Verformungsprozessen geschaffen. Ein klassisches Beispiel für den Textureinfluß auf die Werkstoffeigenschaften ist die sogenannte Zipfelbildung beim Tiefziehen. Das texturabhängige Auftreten von Zipfeln bedeutet Material- und Qualitätsverlust. Vor allem seit den dreißiger Jahren interessierten aus technischer Sicht neben den mechanischen auch andere, beispielsweise magnetische, Werkstoffeigenschaften. Eine interessante Anwendung der anisotropen Wärmeausdehnung von Zinkblech bot die Herstellung temperaturunabhängiger Unruhen für Taschenuhren. Der Einfluß der Textur auf die Korrosionsgeschwindigkeit wurde 1928 von Glauner und Glocker in ersten Untersuchungen nachgewiesen.

Bis in die fünfziger Jahre hinein erfolgte die Auswertung der Röntgenbeugungsbilder auf fotografischem Wege, wobei kaum mehr als zehn Intensitätsstufen unterschieden werden konnten. Weiterführende, quantitative Berechnungen, zum Beispiel anisotroper Materialeigenschaften, waren deshalb kaum möglich. Mit der aus der Kernphysik stammenden Zählrohrtechnik konnten seit 1949 Polfigurwerte wesentlich genauer bestimmt werden. Neutronen, die seit den fünfziger Jahren an Forschungsreaktoren zur Verfügung standen, wurden bald auch zur Texturbestimmung eingesetzt. Aufgrund ihres geringen Streuquerschnitts erlauben Neutronen Texturuntersuchungen an grobkörnigen Materialien, so an Gesteinen. Wichtige Neuerungen in der Experimentiertechnik waren die ortsauflösenden Detektoren in der Röntgen- und Neutronenbeugung, die energiedispersiven Detektoren in der Röntgenbeugung und deren Pendant in der Neutronenstreuung, das Flugzeitdiffraktometer.

Bis in die sechziger Jahre erfolgten Texturaussagen praktisch nur anhand von Polfiguren und Vorzugsorientierungen. Mit der Vervollkommnung der Experimentiertechnik und der zunehmenden Anwendbarkeit texturanalytischer Ergebnisse zeigte sich aber, daß Polfiguren die Textur nur unvollständig beschreiben. Eine neue Etappe der Texturanalyse wurde von Wiglin, Bunge und Roe eingeleitet, die den Begriff der Orientierungsdichtefunktion - ODF einführten und, ausgehend von den im Diffraktionsexperiment meßbaren Polfiguren, eine Methode zu ihrer Berechnung entwickelten. Damit wurden wesentliche Voraussetzungen für die Berechnung von Werkstoffeigenschaften bzw. die quantitative Beschreibung texturmodifizierender Prozesse in polykristallinen Materialien geschaffen.

Seit den siebziger Jahren erfuhr der Untersuchungsgegenstand der Texturforschung eine grundlegende Erweiterung. Waren es bis dahin vor allem Metalle, die untersucht wurden, so werden heute gleichermaßen Texturbestimmungen an natürlichen und künstlichen Gesteinen, an Polymeren oder anderen neuartigen Werkstoffen (Dünnschichtsysteme, Fullerene, Hochtemperatur-Supraleiter) durchgeführt. Bei der ODF-Bestimmung nichtmetallischer Materialien treten jedoch zusätzliche Probleme, wie Mehrphasigkeit, niedrige Kristallsymmetrien, inhomogener Probenaufbau oder ein breites Korngrößen- bzw. Kornformspektrum auf, die sowohl die experimentelle als auch mathematisch/methodische Bestimmbarkeit der Texturen unmittelbar beeinträchtigen. Deshalb wurden neue Experimentiertechniken und ODF-Berechnungsmethoden entwickelt, von denen einige hier dargestellt werden.

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Textur und Anisotropie kristalliner Stoffe

Ein Kristall ist dadurch gekennzeichnet, daß seine Bausteine (Atome, Ionen) räumlich periodisch angeordnet sind. Daraus folgt grundsätzlich eine Richtungsabhängigkeit (Anisotropie) der Kristalleigenschaften. So kann sich bei einem Graphitkristall der Elastizitätsmodul in Abhängigkeit von der Richtung um den Faktor 22 unterscheiden.

Die meisten natürlichen oder künstlichen festen Stoffe (Gesteine, Keramiken, Metallegierungen oder Polymere) bestehen aus vielen Kristalliten unterschiedlicher Größe und Form, die verschieden orientiert aneinander stoßen. Sie sind in der Regel mehrphasig, d.h. sie enthalten häufig mehrere kristalline Phasen verschiedenartiger Kristallstruktur. Der wichtigste Parameter zur Beschreibung der Anisotropie polykristalliner Werkstoffe ist die Textur. Eine geregelte Textur, bei der die Kristallite einer Phase wenige Vorzugsorientierungen innehaben, bewirkt durch die über die Gitterstruktur der Kristallite bedingte Anisotropie physikalischer Eigenschaften eine solche auch für das polykristalline Material.

Haben alle Kristallite die gleiche Orientierung, entspricht die Anisotropie des Vielkristalls exakt der des Einkristalls (rechts). Im Falle einer regellosen Textur (links), bei der alle Orientierungen gleich häufig vorhanden sind, ist das Verhalten des polykristallinen Materials isotrop, obwohl jeder Baustein (Kristallit) für sich ein anisotropes Verhalten zeigt. Die oben dargestellte Textur wie auch der darunter gezeichnete Anisotropiekörper (Mitte) beschreibt einen möglichen Realfall. Durch gezielte Erzeugung bestimmter Texturen können die anisotropen Eigenschaften eines Werkstoffes innerhalb der beschriebenen Grenzfälle variiert, und so den jeweils vorliegenden Einsatzbedingungen angepaßt werden. Verbesserte experimentelle und theoretische Methoden bei der Texturbestimmung führten in den letzten Jahren zu einer sich ständig erweiternden Vielfalt der untersuchten Stoffklassen, Prozesse bzw. der zu modifizierenden Eigenschaften:
vielkristalline Stoffe: Metalle, Legierungen,intermetallische Verbindungen, Keramikwerkstoffe, Verbundwerkstoffe, Polymere, Halbleiter, Nanokristalle, Supraleiter, Gesteine;
texturmodifizierende Prozesse: Deformation, Rekristallisation, Phasenumwandlungen, Schichtsynthese mit Plasma, Laser- und Ionenstrahlen, Kristallisation an Grenzflächen, Starre Partikelrotation;
anisotrope Eigenschaften: Plastizität, Elastizität, Härte, Festigkeit, Spaltbarkeit, thermische Ausdehnung und Leitfähigkeit, elektrische Leitfähigkeit, Magnetisierung, Korrosionsbeständigkeit, optische Eigenschaften.
Die hier angedeutete Vielfalt texturmodifizierender Prozesse erzeugt eine noch größere Vielfalt materialspezifischer Texturen, da die in einem Material vorhandenen, verschiedenen Phasen aufgrund ihrer Struktur und Eigenschaften unterschiedlich reagieren, was dann auch in jeweils verschiedenen Texturen dokumentiert ist. Die Kenntnis der Ausgangs- und Endtexturen einer Probe ist deshalb die wichtigste Voraussetzung für die Untersuchung und Beschreibung texturmodifizierender Prozesse und ihrer Bedingungen. Erst deren Kenntnis erlaubt eine gezielte Manipulation anisotroper Eigenschaften in kristallinen Werkstoffen und damit die Herstellung ensprechender Design-Werkstoffe.

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Koordinatensysteme

Zur Orientierungsbeschreibung eines Kristallits müssen sowohl an der Probe als auch am Kristalliten kartesische Rechtskoordinatensysteme fixiert werden, wobei zwecks Vergleichbarkeit verschiedener Texturen für das Anbringen der Koordinatensysteme einheitliche Konventionen gelten sollten.

Das Probenkoordinatensystem KA wird im allgemeinen der Prozeßgeometrie angepaßt, falls diese bekannt ist. So wird bei einer gewalzten Probe die Walzrichtung R parallel zu XA und die Normalenrichtung N parallel zu ZA gewählt. Das Kristallkoordinatensystem KB sollte nach folgender Vorschrift an den Basisvektoren a, b und c des Bravaisgitters befestigt werden:




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Kristall- und Probensymmetrie

Kristall- und Probensymmetrie führen dazu, daß für die Festlegung des kristall- bzw. probenfesten Koordinatensystems mehrere äquivalente Möglichkeiten existieren:

Anschaulich bewirkt die Kristallsymmetrie keine Vervielfältigung des Kristallits, da durch die Symmetrieoperationen das Kristallgitter auf sich selbst abgebildet wird (linke Abbildung). Dagegen bewirkt eine Probensymmetrie die Existenz mehrerer Kristallite mit anschaulich verschiedenen, hinsichtlich der Probensymmetrie aber äquivalenten Orientierungen. In der rechten Abbildung sind diese für drei verschiedene Orientierungen mit jeweils gleicher Farbe dargestellt.
Die Probensymmetrie ist hier durch die Punktgruppe C6 gegeben. Stellen Sie sich dazu eine pyramidenförmige Probe mit einem Sechseck als Grundfläche vor, welches parallel zur Zeichenfläche liegt. Verursacht wird eine Probensymmterie durch den texurmodifizierenden Prozeß bzw. durch die Umgebung der kristallinen Phase. Das Beispiel zeigt 13 Vorzugsorientierungen eines dünnen Films (Kristallsymmetrie D6h), welcher auf einem ebenfalls hexagonalen, einkristallinen Substrat erzeugt wurde. Da die c-Achse des Substratkristalls parallel zur Probennormalen ist, gibt es zu jeder Vorzugsorientierung noch fünf weitere äquivalente Vorzugsorientierungen. In Sonderfällen, d.h. für spezielle Orientierungen, können die äquivalenten Orientierungen auch zusammenfallen (oliv-grüner Kristallit).

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Orientierungsdarstellung durch Eulerwinkel - der G-Raum

Eine Orientierung g ist durch diejenige Drehung beschrieben, die das probenfeste Koordinatensystem KA in das kristallfeste System KB des jeweiligen Kristalliten überführt.

Wird die Drehung dabei in drei sukzessiv auszuführende Teildrehungen (K-Knotenlinie) zerlegt:

  1. überführt XA Þ K,Drehachse: Z (ZA), Drehwinkel:j1,
  2. überführt ZA Þ ZB Drehachse: K, Drehwinkel: F,
  3. überführt K Þ XB, Drehachse: Z (ZB), Drehwinkel:j2,
erhält man die Eulerwinkel (j1,F,j2)=g als Orientierungsparameter. Jede Drehung mit dem Drehwinkel 2p+a um eine beliebige Drehachse ist identisch mit einer Drehung mit a. Der Raum aller Orientierungen (kurz G-Raum) ist somit zyklisch, abgeschlossen und durch



vollständig beschrieben.

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Die Orientierungsdichtefunktion (ODF)

Mit Hilfe der ODF f(g) wird die Textur einer kristallinen Phase quantitativ beschrieben. In einem Gedankenexperiment seien sämtliche Kristallite einer Probe entsprechend ihrer Orientierung in einen Setzkasten einsortiert:

Die Häufigkeit (der Volumenanteil) aller Kristallite mit einer Orientierung g in dg (dg charakterisiert die Größe eines Kästchens) ist hier durch eine entsprechend große Elementarzelle des (im Beispiel hexagonalen) Kristallgitters dargestellt. Beim Grenzübergang dgÞ0 geht die Häufigkeit in den Funktionswert f(g) über, so daß die ODF f(g) durch die Beziehung

definiert ist. Dabei beschreibt V das Probenvolumen und dVg das Volumen aller Kristallite, die eine Orientierung g innerhalb des Winkelelements dg besitzen. Üblich ist die graphische Darstellung der ODF auf Eulerschnitten. Dabei werden die Eulerwinkel j1,F,j2 auf rechtwinkligen Koordinatenachsen aufgetragen, wodurch der sphärische G-Raum erheblich verzerrt wird.

Aufgrund der im Beispiel vorhandenen Kristall- und Probensymmetrie (kubisch/tetragonal bzw. orthorhombisch) kann die Darstellung in einem reduzierten Grundbereich 0£j1,F,j2£p/2 erfolgen.

Grundbereichsgrenzen für die ODF-Abbildung im Eulerraum:

Bereichsgrenzen bezüglich j2 und F für alle möglichen Kristallsymmetrien (die mit * markierten Fälle erzeugen Dreifachbereiche):
GB C1 C2 D2 C3 D3 C4 D4 C6 D6 T* O*
180° 180° 90° 180° 90° 180° 90° 180° 90° 90° 90°
j2£ 360° 180° 180° 120° 120° 90° 90° 60° 60° 180° 90°

Grenzen von j1 für die trikline, monokline und orthorhombische Probensymmetrie:
GB C1 C2 D2
j1£ 360° 180° 90°


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Polfiguren, Projektionsfaden

Bis in die sechziger Jahre erfolgten Texturaussagen praktisch nur anhand von Polfiguren und daran abgeschätzter Vorzugsorientierungen (Ideallagen). Heute liegt ihre Bedeutung darin begründet, daß diese Polfiguren experimentell leicht zugänglich sind. Eine wichtige Aufgabe der Texturanalyse (und des MulTex-Programms) besteht deshalb darin, aus den gemessenen Polfiguren die ODF jeder Phase einer Probe zu berechnen.
Eine Polfigur ist durch die Beziehung

definiert, d.h. sie ist proportional zum Volumenanteil aller Kristallite, deren Kristallrichtung h parallel dem Probenvektor y ist (vgl. Abschn. 3.2.1). Bei der Messung beschreibt y die Richtung vom Streuvektor des Diffraktometers relativ zum Probenkoordinatensystem. Durch geeignete Probendrehung kann y den gesamten Raumwinkelbereich (Polkugel) erfassen. Wegen des Friedel’schen Gesetzes, wonach die Intensität des gebeugten Strahls für +y und -y gleich ist, muß aber nur der halbe Winkelraum abgetastet werden. Experimentelle Einschränkungen führen in der Regel aber zu kleineren Meßbereichen, man spricht dann von unvollständigen Polfiguren.

Die Abbildung links zeigt die vollständige, experimentelle (112) Polfigur einer hexagonalen GaN-Schicht. Kleine PF-Werte sind blau, große Werte rot eingefärbt. In der Polfigur ist ein relatives Maximum mit der Probenrichtung yp sichtbar, welches durch einen gelben Punkt markiert ist. Die rechte Abbildung zeigt einen Kristalliten dessen Kristallrichtung hp=(112) parallel zu yp ist und deshalb einen Beitrag zum entsprechenden Polfigurwert liefert. Beide Vektoren sind miteinander über die Kristallorientierung g (Drehung die KA nach KB überführt) durch hp=gyp (oder hp||yp) verknüpft, m.a.W. die Orientierung g projiziert yp auf hp.
Neben dem Kristallit mit der dargestellten Orientierung leisten auch alle Kristallite einen Beitrag zum 'gelben' Polfigurwert, deren Orientierung sich durch eine beliebige Drehung um die eingezeichnete Achse aus der dargestellten Orientierung ergibt.
Die Menge dieser Orientierungen gp(j) wird Projektionsfaden (oder Orientierungsfaden) genannt, da all diese Orientierungen über hp=gp(j)yp die Probenrichtung yp auf die Kristallrichtung hp abbilden.
Daraus ergibt sich eine sehr wichtige Aussage:

Polfiguren sind zweidimensionale Projektionen der dreidimensionalen ODF (Textur) !!

Die Texturberechnung aus Polfiguren, die das MulTex-Programm zum Ziel hat, ist ein tomographisches Problem (im Orientierungsraum), dessen Lösung auf der Kenntnis des Projektionsfadens beruht.

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Texturapproximation durch Modellkomponenten

Eine vollständige Texturbeschreibung erfordert infolge der beträchtlichen Größe des Orientierungsraums im allgemeinen sehr große Datenmengen. Bei einem vorgegebenen Orientierungsabstand (Auflösung) von ca. 5° und trikliner Kristallsymmetrie müssen die ODF- Werte für » 120 000 Stützstellen angegeben werden. Auf der Grundlage des Orientierungsabstands können jedoch sogenannte Texturkomponenten, d.h. 'aufgeweichte' Einzelorientierungen definiert werden, die eine Texturbeschreibung mit erheblich weniger Parametern (Datenkomprimierung) gestatten. Bei geeigneter Wahl dieser Komponenten lassen sich die Texturen großer Probenserien exakt miteinander vergleichen bzw. Texturänderungen und ihre verursachenden Prozesse quantitativ beschreiben.
Die schematische Darstellung zeigt eine sphärischen Texturkomponente mit dem Zentrum gc und der Streubreite bc.

Dargestellt sind neben der Vorzugsorientierung gc noch weitere Orientierungen, die aus gc durch Rotation um die Richtung senkrecht zur Papierebene erzeugt werden können.
Der Volumenanteil aller zu einer Orientierung gehörenden Kristallite ist durch das Volumen der entsprechend orientierten Elementarzelle gegeben und hängt nur vom Kippwinkel wc ab. Der Kippwinkel wc beschreibt den Abstand der gekippten Orientierung von der Vorzugsorientierung gc (Orientierungsabstand).
Zur mathematischen Beschreibung benutze ich eine dem Orientierungsraum angepaßte Gaussverteilung:

fc(g)= Ic [I0(Sc) - I1(Sc)]-1 exp(Sccoswc) mit Sc= ln2/(1-cos(bc/2))

I0, I sind verallgemeinerte Besselfunktionen. Der Volumennanteil Ic aller durch die Komponente beschriebenen Kristallite ist durch das Integral dieser Verteilung (grau schraffiert) gegeben. bc ist die Halbwertsbreite, die im Falle einer sphärischen Texturkomponente (Vorzugsorientierung) diese unabhängig von der Richtung der Drehachse ist.
Bei einer Faserkomponente(Vorzugsrichtung) hängt die Verteilung vom Winkel zwischen der Drehachse n und der Faserachse fc ab. Für die Drehachsen n, die senkrecht auf der Faserachse stehen erhält man die oben dargestellte Verteilung mit der Streubreite ac. Ist n parallel zu fc ist die Verteilung konstant, d.h. unabhängig vom Kippwinkel wc .
Mit der Annahme, daß sich jede real auftretende Textur in guter Näherung als Überlagerung einer endlichen Anzahl von Texturkomponenten unterschiedlicher Form und Streubreite darstellen läßt (c-Komponentenindex):

wurde das hier vorliegende geometrische Approximationsverfahren zur Texturbestimmung aus Beugungspolfiguren entwickelt, welches auch für mehrphasige Proben anwendbar ist. Dabei werden die Komponentenparameter: interaktiv und sukzessiv auf dem PC-Monitor abgeschätzt und anschließend mittels nichtlinearer Optimierung verbessert (siehe Beispiel). Die Reduktion der Texturdaten auf nur wenige Komponenten ermöglicht Texturabschätzungen anhand von Polfigurdaten, die hinsichtlich Qualität (Meßfehler) oder Quantität stark eingeschränkt sind.

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